
Während ich einem fünf Wochen altem Baby einer Freundin die Flasche gebe, schweifen meine Gedanken zurück zu meiner eigenen Mutterschaft vor 23 Jahren. Ich sehe mich, verstrubbelt im Wochenbett, übermüdet und voller Fragen: Warum weint mein Baby? Ist es hungrig? Müde? Hat es Bauchweh? Mache ich alles richtig? Doch eine Frage habe ich mir damals nicht gestellt: Werden mein Mann und ich eine wirklich gleichberechtigte Elternschaft führen? Ich nahm das einfach als gegeben hin.
Heute sehe ich das anders. Meine Vorstellung von Gleichberechtigung war eine Fata Morgana. Rückblickend erkenne ich die Fehler, die wir gemacht haben - und die so viele Eltern heute noch machen, wenn es darum geht das Elternsein fair zu gestalten. Deshalb teile ich hier meine 7 wichtigsten Tipps, damit ihr als Eltern von Anfang an eine gleichberechtigte Elternschaft lebt und nicht erst Jahre später merkt, wo ihr euch verrannt habt.
1) Gesellschaftliche Einflüsse erkennen und hinterfragen
Bevor ihr anfangt, über die faire Aufteilung von Aufgaben zu sprechen, schaut erst einmal zurück: Welche Rollenbilder habt ihr in eurer Kindheit erlebt? Welche Vorbilder habt ihr?
Als mein Mann und ich Eltern wurden, hatte ich bereits ein erfolgreiche Karriere in der Filmbranche hinter mir, während er gerade erst mit dem Studium fertig war. Ich war als Szenenbildnerin tätig und er hatte erste Erfolge als Regisseur und Kameramann. Doch irgendwie schien es selbstverständlich, dass seine Karriere Vorrang hatte. Schließlich hatte ich ja „schon eine“ und wollte mich um die Kinder kümmern. Dass ich damit unbewusst eine Rollenverteilung aus den 1950er-Jahren fortführte, war mir damals nicht bewusst.
Setzt euch also frühzeitig zusammen: Was bedeutet Gleichberechtigung für euch? Wie haben eure Eltern und Großeltern sie gelebt? Was wollt ihr anders machen?
Hier findet ihr einen interessanten Überblick über die historische Entwicklung der Gleichberechtigung: Wikipedia: Gleichberechtigung
2) Beide Elternteile müssen dazulernen
Einer der größten Stolpersteine für eine gleichberechtigte Elternschaft ist die Annahme, dass ein Elternteil „von Natur aus“ besser für bestimmte Aufgaben geeignet ist. Ich habe lange gedacht, ich könne die Kinder besser ins Bett bringen, besser mit ihnen spielen, das Essen besser für sie zubereiten. Mein Mann machte Dinge anders – und das hat mich wahnsinnig gemacht.
Doch Kinder brauchen verschiedene Herangehensweisen. Sie lernen durch Vielfalt. Und ganz ehrlich? Ob das Besteck akkurat oder durcheinander in die Spülmaschine kommt, ist letztlich egal.
Mir war es nicht egal, weil Mutter-Sein mein neuer „Job“ war. Und darin wollte ich mindestens genauso gut sein, wie ich es als Szenenbildnerin war. Aber Familie ist kein Job! Familie ist ein lebenslanges Teamwork. Wer da andere außen vor lässt, weil sie etwas nicht so machen wie man selbst, ist am Ende ein Tyrann. Das lebenslange Teamwork gilt übrigens auch für Patchwork Konstellationen. Warum nicht mal in Ruhe überlegen, was die anderen besonders gut können, anstatt nur das zu benennen, was nervt ?
Auch wenn es schon etwas älter ist: Ein wertvolles Buch dazu ist „Ich bin okay – Du bist okay“ von Thomas Harris. Es zeigt, wie wir unsere Kommunikation verbessern können, um uns wirklich gleichberechtigt zu begegnen: Hier geht’s zum Buch
3) Elternzeit und Job gleichberechtigt aufteilen
Viele Paare kämpfen mit der Frage, wie sie Job und Elternzeit fair verteilen. Leider wird Männern in vielen Unternehmen noch immer signalisiert, dass sie „keinen Mann gebraucht hätten, wenn sie in Elternzeit gehen wollen“. Die Angst vor beruflichen Nachteilen hält viele davon ab, sich die Elternzeit und den Job fair zu teilen. Deshalb möchte ich euch dazu aufmuntern, mutig zu sein. Ohne euren Mut, werden sich die gesellschaftlichen Normen nicht zu Gunsten der Familie(n) ändern. Bis dahin stehen sie nur auf dem Papier! Veränderung beginnt dann, wenn wir die Möglichkeiten anwenden, die wir haben, anstatt sie wissend mit uns im Kopf herumtragen.
Freundet euch damit an, dass Job und Elternzeit beides „Arbeit“ ist. So gerne uns immer noch versucht wird einzureden, dass Elternzeit so etwas wie Urlaub ist. Das ist sie nicht. Bei keinem Job der Welt muss ich 24/7 bereit stehen, wenn irgendwas ist. Wenn wir Eltern geworden sind, sind wir das Tag und Nacht. Und das, meiner Meinung nach, über den Auszug unserer Kinder hinaus. Aber das nur am Rande. Bis zu ihrem Auszug kann ich jedenfalls weder eine Vertretung anrufen, mich krank melden oder kündigen. Bei jedem Job kann ich die Ohren auf Durchzug stellen, wenn ich zu Hause bin, oder am nächsten Morgen erst die Email beantworten, aber vor allem, wenn es mir nicht mehr passt, kann ich gehen.
Wenn ihr selbstständig seid, wie wir es waren, plant frühzeitig ein finanzielles Polster ein, um euch die erste Zeit als Familie wirklich leisten zu können. Wenn zwei Partner in dieser Zeit dann jeweils 30 Stunden arbeiten, ist das oft besser als ein Modell, in dem einer Vollzeit arbeitet und der andere komplett zuhause bleibt.
4) Mental Load nicht allein stemmen
Aus meiner Erfahrung geht es nicht nur um Kinderbetreuung und Haushalt, sondern auch um den unsichtbaren Ballast, den viele tragen. Oft höre ich in meinen Beratungen: „Ich dachte, du machst das gerne!“ – sei es Finanzen, Wäsche oder Terminplanung. Nein! Nur weil jemand etwas übernimmt, heißt das nicht, dass es Spaß macht.
Redet regelmäßig darüber: Wer trägt welche Lasten? Was nervt euch? Was könnt ihr tauschen? Hier gibt es einen hilfreichen Test zum Thema Mental Load: Mental Load Test
Für meinen Geschmack fehlen da die Finanzen. Aber die könnt ihr euch ja dazu denken.
Denn: Von den vielen schlaflosen Nächten, in denen mein Mann hin und her überlegte, wie wir im nächsten Monat den Kredit zahlen könnten, erfuhr ich viel zu spät. Erst als er mir irgendwann ungehalten davon erzählte, wovor er mich emotional schützen wollte, verstand ich seinen monatelangen Frust zu Hause. Bis dahin bezog ich den auf unsere kleine Familie. Danach konnte ich ihn dann hin und wieder fragen: „Sag, wie sehr belastet dich das momentan? Soll ich dir was abnehmen?“
5) Routinen flexibel anpassen
Regeln und Routinen sollten das Leben erleichtern – nicht zur Belastung werden. Wir haben jahrelang ein Einschlafritual verfolgt, das irgendwann mehr Stress als Nutzen brachte. Als wir es angepasst haben, wurde alles viel entspannter. Das gleiche gilt für das morgendliche in die Gänge kommen. Ist es noch nötig, die Kinder anzuziehen, oder können sie das schon alleine? Auch Essensrituale sorgen oft für großes Konfliktpotenzial. Der eine wünscht sich, dass alle am Tisch sitzen, bis der letzte aufgegessen hat. Der andere möchte aufspringen, sowie der letzte Bissen im Mund verschwunden ist. Bei uns wollten die Kids irgendwann am liebsten in ihren Zimmern essen. Anfangs spürte ich da eine tiefe Empörung: „Was? Nein! Auf keinen Fall! Das ist der Untergang der Zivilisation.“ Doch nachdem wir uns eine Woche lang am Tisch nur gestritten haben und kein Bissen mehr schmeckte, ließ ich sie es probieren. Der Witz war: Nach einer Weile kamen sie ganz von allein zurück an den Küchentisch. Und: Von da an hatte unser Abendessen einen viel harmonischeren Ablauf.
Hinterfragt eure Routinen regelmäßig: Bringen sie euch wirklich Entlastung? Oder ist es Zeit für eine Veränderung?
6) Soziale Netzwerke und Unterstützung aufbauen
Etwas, was ich viel zu spät gelernt habe, möchte ich euch dringend ans Herz legen: Holt euch Hilfe und Unterstützung, wo es nur geht. Wir leben meistens nicht mehr in Großfamilien wie früher. Zum Beispiel steht jeder jungen Familie nach der Geburt über die Krankenkasse eine Haushaltshilfe für die Zeit des Wochenbetts zu. Selig die, die das in unserem Freundeskreis wussten und nutzten!
Außerdem gibt es Familienhebammen. Sie unterstützen nicht nur mit Papierkram, sondern auch mit Fragen rund ums Elternsein. Besonders wichtig ist das, wenn die Geburt anders verlief als gedacht. Aber auch sonst: Die meisten Paare denken, sie wüssten, was es heißt, Eltern zu werden – und alle sind anfangs überfordert.
Wenn ihr kein fremdes Personal möchtet, organisiert euch mit Freund:innen. Verabredet euch mit Nachbarn für Spaziergänge, tauscht euch aus und unterstützt euch gegenseitig. Ich lernte in der Schwangerschaft eine tolle Nachbarin kennen, mit der ich später auch gemeinsam nach der besten Kita suchte. Bis dahin halfen wir uns gegenseitig bei der Kinderbetreung, z.B., wenn eine von uns mal krank war und der Partner beruflich unterwegs. Solche Netzwerke sind Gold wert!
7) Gleichberechtigte Elternschaft braucht Zeit und Geduld
Last but not least, mein vielleicht wichtigster Tipp: Gebt euch Zeit. Und seid geduldig. Nicht nur mit eurem Gegenüber, sondern vor allem mit euch selbst.
Alte Muster aufzulösen, wie alte Rollenbilder, dauert. Mein Lehrer Jesper Juul sagte mal: „Wenn ihr beginnt, bewusst euer Leben zu verändern, dauert es ungefähr die Hälfte eurer Lebenszeit, um das umzusetzen.“ Ich war damals 45 – und er hatte Recht! 22,5 Jahre später hatte ich 93 % dieses Bergs bestiegen.
Manchmal ging es zwei Schritte vor, drei zurück. Manchmal musste ich Pausen machen, um Erlebnisse aus meiner Kindheit aufzuarbeiten. Und manchmal war es einfach frustrierend. Doch heute weiß ich: Es war und ist der richtige Weg. Denn wenn meine Kinder mir auf den Keks gingen, fehlte mir oft einfach mein Mann – und die Gleichberechtigung in unserer Elternschaft. Außerdem: Viele kleine Schritte, sind am Ende auch ein großer.
Gleichberechtigte Elternschaft ist kein Selbstläufer. Sie erfordert bewusste Entscheidungen und ehrliche Gespräche. Aber wenn ihr von Anfang an reflektiert, wie ihr eure Rollen gestalten wollt, könnt ihr viele Konflikte vermeiden – und eine Familie leben, in der sich beide Elternteile wirklich gesehen und wertgeschätzt fühlen. Deshalb: Fangt an – es lohnt sich! Eure Kinder lernen so nämlich ganz nebenbei am Modell. Ganz ohne ihnen viel über Gleichberechtigung zu erklären!
Für eure Gespräche hier noch ein Leitfaden aus meinem Buch: „Zeit für Empathie - Fünf Wege zu innerer Gelassenheit.“ Kommunikation für Eltern, weil Gedankenlesen (leider) nicht funktioniert
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